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20. Tag
31. Juli 2002
Villafranca del Bierzo – Trabadelo – Ambasmestas – Ruitelan - Herrerias - Pedrafita de Cebreiro – O’Cebreiro – Linanes – Padornel – Triacastela – Samos – Vigo - Sarria
Von Villafranca del Bierzo (E)

Der Tag beginnt mit einer Ü berraschung. Unsere "Gastgeberin" verlangt von uns 35,- Euro, jedoch nicht wie vereinbart für das Gesamtzimmer, sondern pro Person. Es kommt zu erregten Diskussionen. Ich drohe damit, die Polizei und den Patron des Refugios, der uns freundlicherweise das Zimmer vermittelt hat , einzuschalten. Offensichtlich habe ich sie damit eingeschüchtert, denn sie lenkt plötzlich ein und begnügt sich mit den vereinbarten 35,- Euro. Mit Jü rgen's lakonischer Bemerkung "die Alte wollte uns tatsächlich beschei...“ geht es schließlich los.

War die gestrige Etappe schon eine der härtesten unserer gesamten Tour, so sollte die heutige zumindest genauso schwer werden. Die ersten 20 Kilometer fahren wir über die so gut wie verkehrsfreie alte Nationalstraße durch das Tal des Rio Valcarcel. Da zu so früher Stunde die Sonne noch nicht das enge Flusstal erreicht, ist es noch empfindlich kü hl. Wir sehen, wie in der Höhe viel gebaut wird. Die neue Nationalstraße und eine Autobahn mit Tunneln und riesigen Brückenbauwerken prägen dort oben das Landschaftsbild. Hier unten im herrlich gewundenen, grünen Tal scheint die Welt noch heil zu sein. Dörfer mit blumengeschmückten Häusern und urige Weiler wechseln sich a b . Bauern mit ochsenbespannten Holzkarren begegnen uns und wecken unsere Aufmerksamkeit. Auch begegnet uns ein älteres deutsches Fußpilgerpaar, dem wir unseren Respekt ob ihrer Leistung zollen und dem wir einen weiteren "Buen Camino" wünschen. Wir werden dieses Paar heute noch mal wiedersehen und dann die Welt nicht mehr verstehen. Warum? Sie waren schneller zu Fuß als wir mit dem Fahrrad!!?? In Herrerias ist es mit dem sanften Einradeln vorbei. Etwa 15 Kilometer mit mehr als 700 Höhenmetern und zum Teil mühseligen Steigungen liegen vor uns. Was soll's? Wir nehmen nach altbewährtem Muster den Aufstieg zum Monte Cebreiro in Angriff. Jeder von uns hat zu kämpfen. Der eine mehr, der andere weniger. In Pedrafita de Cebreiro machen wir eine kurze Rast. Wir haben gerade die Grenze zwischen Kastilien und Galicien überfahren und kommen mit drei Herren der hiesigen Kommunalverwaltung ins Gespräch. Als sie hören, dass wir aus Aachen (einer von ihnen war schon einmal in Aachen) kommen und bereits 2200 Kilometer bis hierher zurückgelegt haben, ist ihre Bewunderung uns gegenüber groß. Überhäuft mit Lob und aufmunternden Worten setzen wir den Anstieg fort und erreichen bald den Monte Cebreiro mit dem malerischen Bergdorf gleichen Namens. Wir sind ziemlich fertig. Doch die Plackerei hat sich gelohnt. Vor uns breitet sich eine grandiose Kulisse aus. Unser Blick schweift über Hochtäler von enormer Ausdehnung. Wir sind hellauf begeistert. Begeistert sind wir auch vorn Dorf 0’Cebreiro. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Die kleinen, strohgedeckten Bauernhäuser sind derart gepflegt, dass man den Eindruck hat, sich in einem Freilichtmuseum zu befinden.

Nach einer ausgiebigen Rast setzen wir die Fahrt frohgelaunt fort, sind wir doch der Meinung, jetzt genüsslich ins Tal rauschen zu können. Doch Pustekuchen. Wir müssen noch einige zähe Anstiege überwinden, ehe es soweit ist. Am Alto San Roque weckt eine riesige bronzene Pilgerstatue unser Interesse. Wir wirken zwar wie Zwerge am Fuße dieses gigantischen Denkmals, doch ich denke, wir brauchen uns nicht verstecken vor diesem riesigen Pilger, denn auch wir haben, zumindest für unsere Verhältnisse, bisher riesiges geleistet.

Endlich, nachdem wir den Porto de Pojo, mit 1335 Meter die höchste Erhebung der heutigen Etappe, erreicht haben, beginnt die heißersehnte Schussfahrt ins Tal. Gerd ist in seinem Element. Schon nach wenigen Serpentinen ist er nicht mehr zu sehen. Jürgen und ich können und wollen da nicht mithalten. Wir sind wahrscheinlich zu ängstlich und verfügen auch nicht über die entsprechende Technik. Jedenfalls wird uns hier sehr deutlich vor Augen geführt, welch sportliche Leistung die Tour de France-Fahrer bei ihren waghalsigen Abfahrten vollbringen. So genüsslich wie die gestrige Abfahrt vom Cruz de Ferro empfinden wir die heutige Talfahrt aber nicht, denn es ist im Gegensatz zu gestern empfindlich kü hl. Und so sind wir froh, uns im Tal in Triacastela in der erstbesten Bar mit heißem Kaffee und einem doppelten Anisschnaps wieder aufwärmen zu können. Just in dem Augenblick, als wir die Bar verlassen, kommt die Sonne wieder heraus und zeigt sich von ihrer besten Seite.

Unsere Fahrt führt uns weiter durch die üppig grüne Hügellandschaft Galiciens. Vorbei an Weilern und kleinen Dorfern geht es immer bergauf und bergab. Eindrucksvoll ist die riesige Klosteranlage in Samos, die fast das ganze Tal einnimmt. Dort besichtigen wir das gerä umige Refugio und holen uns einen Stempel. Endlich erreichen wir unser heutiges Etappenziel Sarria.

Die heutige Etappe hat uns viel Kraft gekostet. Deswegen genießen wir, vor einer Bar in der Sonne sitzend, erst mal das ein oder andere Bierchen, ehe wir uns auf der Suche nach einer Unterkunft begeben. Hierbei haben wir Glück und finden schnell in einer Bäckerei eine saubere private Herberge. Für 7 Euro werden wir in 4-Bett-Zimmern untergebracht. Gerd hat des "Glü ck“ , mit drei jungen Spanierinnen übernachten zu dürfen. Jürgen und ich müssen uns das Zimmer mit einem radpilgernden "Vater-Sohn-Gespann" aus Spanien teilen.

Beim abendlichen Bummel durch den Ort und der obligatorischen Suche nach einem Restaurant lassen wir uns verleiten durch den Hinweis: Hier spricht man Deutsch. Etwas skeptisch sind wir schon, als wir das etwas abseits gelegene Lokal betreten. Es ist eine bessere Kneipe und außer uns sind kaum Gäste da. Wir geben uns als deutsche Pilger zu erkennen und werden auch tatsächlich von der schon etwas älteren Wirtin in gebrochenem Deutsch begrüßt. Sie setzt sich zu uns und gibt uns zu verstehen, wie erfreut sie über unseren Besuch sei und dass sie schon lange keine deutschsprachigen Gäste mehr gehabt habe. Ihre Deutschkenntnisse, so verrät sie uns, sind das Ergebnis eines jahrelangen Aufenthalts in St. Gallen in der Schweiz. Dort habe sie bei einer Bank gearbeitet. (Wie sich im Verlauf des Abends herausstellte, als Putzfrau). Da wir keine Speisekarte entdecken kö nnen, fragen wir sie, welche Gerichte sie uns denn anbieten kö nne. Daraufhin zählt sie uns auf, was für "Essensreste" sie noch in ihrem privaten Kühlschrank habe. Wir schauen uns entgeistert an, nehmen dann jedoch ihr Angebot, uns etwas Deftiges zusammenzustellen, a n . Was tut man nicht alles, wenn man Hunger hat? Die als Vorspeise gedachte Suppe wird zunächst kalt serviert. Die Mikrowelle funktioniert nicht mehr so recht, versucht sie zu entschuldigen. Über weitere Einzelheiten des "opulenten" Mahls zu berichten, erspare ich mir. Wir werden jedenfalls für wenig Geld satt und verbringen noch den Abend bei der sympathischen und recht redseligen Dame. Unter anderem erzählt sie, dass sie aus einem kleinen Ort ganz in der Nähe stamme, in dem auch Fidel Castro geboren wurde und in dem er einige Jahre seiner Kindheit verbrachte, bevor er nach Kuba auswanderte. Ob das wohl stimmt? Uns soll es egal sein. Für uns ist wichtig, dass wir übermorgen unser Ziel erreicht haben. Und Gerd ist froh, die kommende Nacht mit drei jungen Spanierinnen in einem Zimmer verbringen zu können.

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