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17. Tag
28. Juli 2002
Castrojeriz – Eremita de San Nicolas – Boadilla – Frómista – Carrión – Sahagún – Bercianos del Real Camino – El Burgo Ranero
Von Castrojeriz (E)

Es ist 5:00 Uhr und noch dunkel. Die ersten Fußpilger verlassen die Pilgerherberge. Sie verhalten sich zwar ruhig und diszipliniert, brechen jedoch nicht auf, ohne vorher ihr "Geschäft" erledigt zu haben. Das ist zwar nur zu menschlich und demzufolge auch verständlich, hat jedoch einen Haken. In der Region, in der wir uns befinden, wird in den heißen Sommermonaten wegen der Wasserknappheit von 22:00 Uhr abends bis 6:00 Uhr morgens die Wasserzufuhr abgestellt. Wie sich uns, die wir fast als letzte "erst" kurz vor 6:00 Uhr aufstehen, die beiden in der Herberge vorhandenen Toiletten darbieten, möchte ich nicht näher beschreiben, ganz zu schweigen vom Geruch, der sich überallhin breitgemacht hat. Wir warten, bis das Wasser wieder fließt, "erfrischen" uns kurz, entrichten einen Obolus für die Übernachtung und brechen ohne zu frühstücken noch im Halbdunkel auf. Wir sind froh, wieder zwar recht kü hle, aber klare Luft einatmen zu können.

Die heutige Etappe führt uns über die sogenannte Tierra de Campos, Teil der kastilischen Hochebene. Sie ist eine der charakteristischsten Landschaften des Jakobsweges, vollkommen flach und gekennzeichnet von riesigen Getreidefeldern. Es ist Sonntag und zu so früher Stunde gehören die tellerflachen Straßen uns allein. Zudem haben wir Rückenwind, so dass wir gut vorankommen. Wir werfen einen Blick in die wohl außergewöhnlichste Pilgerherberge des gesamten Jakobsweges, die ehemalige aus dem 13. Jh . stammende Kirche San Nicolas. Sie wurde zu einem urigen Refugio umgebaut, kann jedoch nur 13 Pilger aufnehmen. Hier hätten wir die vergangene Nacht verbringen müssen. Tagträume. Wir radeln weiter, überqueren über eine mittelalterliche Brücke den größten Fluss der Region, den Pisuerga, der die Provinzen Burgos und Palencia trennt, und kurz vor Frómista den mehrstufigen Hauptkanal von Kastilien. In Frómista machen wir in einer Bar eine ausgiebige Frühstückspause mit herzhaften bocadillos. Hinter Frómista führt die Landstraße viele Kilometer parallel zum Fußpilgerweg. Zum ersten Mal wird für uns deutlich sichtbar, wie viele Pilger zu Fuß unterwegs sind. Einerseits sind sie zu bewundern, andererseits aber auch zu bedauern, denn der schnurgerade Weg muss sich für sie schier endlos hinziehen, wahrscheinlich ist es für sie aber auch eine gute Gelegenheit, innere Einkehr zu halten. Den obligatorischen "Buen Camino"- Zuruf ersparen wir uns, es sind einfach zu viele.

Nicht nur die vielen Fußpilger überholen wir, sondern auch zwei Damen, die mit dem Rad unterwegs sind. Ich erkenne sie wieder. Sie saßen gestern abend im Restaurant am Nebentisch und erzählten einem älteren spanischen Ehepaar, wie mühselig doch eine Radpilgertour bei dieser Hitze sei, woraufhin das spanische Ehepaar ihnen als Anerkennung für ihre sportliche Leistung einen Rotwein spendierte. Heute radeln sie locker daher ohne jegliches Gepä ck!? Es sollten nicht die einzigen Pilger sein, denen wir begegnen, die sich und auch andere betrügen. Wir kennen dieses Phänomen noch aus unserer Laufsportzeit.

Obwohl die Landschaft recht eintönig ist, kaum ein Baum, kaum ein Strauch, nur riesige, abgeerntete Getreidefelder, ist die Fahrt für uns nicht langweilig. Wir sind überrascht von dem noch häufigen Auftreten von Störchen, aber auch Falken, Habichte und Bussarde haben hier eine gute Lebensgrundlage (wo viel Getreide ist, sind auch viele Mäuse). Großes Interesse wecken bei uns die zum Teil noch gut erhaltenen Überbleibsel aus vergangenen Zeiten, wie zum Beispiel die runden Getreidespeicher oder auch die Höhlenwohnungen.

Als wir aufgrund des Rückenwindes mit sehr hohem Tempo - ich schätze, wir haben mindestens einen 30- iger Schnitt - über die menschenleeren Landstraßen " p a c e n " , wird unsere Fahrt jäh unterbrochen. Gerd's Handy bimmelt. Maria, seine bessere Hälfte, ist am anderen Ende der Leitung und hat Probleme. Maria, die zwar eine Superläuferin ist, kann man wahrlich nicht als Superköchin bezeichnen, denn sonst hätte sie nicht ihren mittlerweile fast 2000 Kilometer entfernten Gerd anrufen müssen, um dessen Rat für ein simples Sonntagsgericht einzuholen. Obwohl Maria uns mit ihrem Anruf unseren Schnitt total kaputt gemacht hat, haben wir uns schon ein tolles Polster angefahren. Es ist gerade erst 12:00 Uhr und wir haben bereits mehr als 70 Kilometer zurückgelegt. Das ist auch bitternötig, denn es ist schon sehr heiß, und es sollte noch heißer werden.

Bei der Mittagsrast erleben wir auch noch eine andere Art des Radwanderns. Da sich keine Picknickplätze anbieten, machen wir Rast auf einem Autorastplatz. Die Bäume sind noch recht klein und werfen in der Mittagshitze wenig Schatten. Zum Liegen ist dieser Platz ungeeignet. Man hat nur eine gute Sicht auf den Autoverkehr sowie auf die Fußpilger, die heute fast immer parallel mit uns Radwanderern unterwegs sind. Kaum haben wir den ersten Bissen im Mund, parkt neben uns ein Klein- LKW aus Belgien. Er gehört zur Sprinter Klasse und auf seiner Seite ist mit großen Buchstaben der Namen einer Stadt bei Antwerpen und Santiago de Compostela sowie Fatima in Portugal verzeichnet. Er steht nur einfach herum und die zwei Fahrer rühren sich nicht. Plötzlich kommt eine Gruppe von etwa 15 Rennradfahrern herangerauscht. Die Türen werden aufgerissen, Befehle gebellt, Kleidung gewechselt und Nahrung und Getränke verteilt. Wie sich später herausstellt, sind es tatsächlich Radwanderer, die aber ohne Gepäck und Verpflegung etwa 200 bis 240km am Tag herunterreißen.

Bis El Burgo Ranero, unserem Tagesziel, sind es nur noch gute 30 Kilometer. Wir haben also noch viel Zeit. In Sahagún gönnen wir uns eine längere Pause bei Kaffee, Kuchen, Bier und Cola. Es ist ja schließlich Sonntag. Hinter Sahagú n fahren wir einige Kilometer über den Original- Camino und erreichen am frühen Nachmittag El Burgo Ranero, und zwar so rechtzeitig, um im einzigen "Hotel" des Ortes noch die letzten 20 Kilometer der Schlussetappe der Tour de France verfolgen zu können. Aus Frust darüber, dass Erik Zabel seine Erfolgsserie im "Grünen Trikot" nicht fortsetzen kann, trinken wir ein Bier mehr, als überraschend ein junger Radpilger auf uns zukommt und sich gegenüber Gerd zu erkennen gibt. Es ist Thomas Lennartz aus Herzogenrath, der Gerd noch von einer gemeinsamen Plerin-Tour kannte und d e r , wie sich im weiteren Gespräch herausstellt, mit meinem Sohn Michael das Abitur gemacht hat. Er ist von Biarritz aus gestartet und da er beabsichtigt, einen Tag eher als wir Santiago zu erreichen, will er heute noch die 35 Kilometer bis Leon fahren. Bedenkt m a n , dass uns bisher kaum deutsche Pilger begegnet sind, so kann man diese Begegnung schon als großen Zufall bezeichnen.

Wir bummeln noch etwas durch den Ort und bestaunen die immens hohen Getreideberge, die mitten im Ort offen auf einem Platz liegen. Sie sind jedem Wetter ausgesetzt und auch die Vögel können sich bedienen. Danach genießen wir das spottbillige, aber dennoch gute Pilgermenü und gehen zufrieden zu Bett. Zufrieden auch deswegen, weil wir die heutige Etappe trotz der 106 Kilometer und trotz der enormen Hitze als Erholungsfahrt empfunden haben. Dies spricht nur für unsere Fitness und unsere Moral. Wir sind jedenfalls zuversichtlich, dass wir unser Ziel erreichen.

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